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Niedrige Löhne: Die Konsequenz schwacher Gewerkschaften

Aktualisiert: 26. Mai 2024

Trotz wachsender Wirtschaft und steigender Konzerngewinne sind die Löhne vieler Menschen nicht hoch genug, um ein sorgenfreies Leben führen zu können.

Immer mehr Menschen können in Deutschland nicht mehr von ihrer Arbeit leben. Gleichzeitig wächst die Wirtschaft und die Gewinne der Unternehmen steigen ins Unermessliche. Geld ist also da. Trotzdem weigern sich Unternehmen, ihre Angestellten gerecht zu entlohnen. Indem wir die Arbeiter:innenbewegung wieder aufbauen und mehr Angestellte in Gewerkschaften eintreten, können Arbeiter:innen ihren gerechten Anteil an den Gewinnen einfordern.


Wir arbeiten, um zu (über)leben

Es mag viele Gründe geben, warum wir uns eine Arbeit suchen: Weil es von uns erwartet wird. Weil wir ein produktiver Teil der Gesellschaft sein wollen oder weil wir etwas Sinnvolles im Leben tun möchten. Der wichtigste Grund im Kapitalismus ist allerdings das Überleben. [1]


Nur wenn Menschen ein regelmäßiges und ausreichend hohes Einkommen erzielen, können sie Rechnungen für Miete, Lebensmittel oder Energie bezahlen. Insbesondere in einem reichen Land wie Deutschland sollte Arbeit nicht nur das reine Überleben sicher können, sondern auch ein sorgenfreies gutes Leben ermöglichen. Dies umfasst auch die Möglichkeit, sich Freizeitaktivitäten leisten zu können und ausreichend finanzielle Mittel für das Alter anzusparen. Das gilt für jeden Beruf – egal ob Putzkraft, Köchin oder Fließbandarbeiter.


Das Leistungsprinzip: Harte Arbeit wird belohnt

Viele Jahre galt in Deutschland das Versprechen: Wer gut und viel arbeitet, wird belohnt. Einem Großteil der Menschen war es dadurch möglich, durch harte Arbeit ein gutes Einkommen zu erzielen, das finanzielle Sicherheit gewährleistete. [2] Selbst ungelernten Arbeitern war es so in der Nachkriegszeit möglich, in einer Fabrik durch harte Arbeit einen bescheidenen Wohlstand zu erreichen. [3]


Dadurch sank auch die Ungleichheit in der Gesellschaft und es entstand eine starke Mittelschicht, die für politische und wirtschaftliche Stabilität sorgte. [4]


Die Krise der Mittelschicht: Arm trotz Arbeit

13,8 Millionen Menschen in Deutschland leben am Existenzminimum, unfähig, sich selbst die billigsten Lebensmittel zu leisten – eine Folge der kapitalistischen Marktregeln.

Bis heute gilt die Mittelschicht als Rückgrat der deutschen Gesellschaft. Sie ist wichtig für die Wirtschaft [5] und sorgt für eine stabile Demokratie. [6] Doch sie ist in Gefahr. Seit mehr als 30 Jahren ist sie unaufhörlich am Schrumpfen. Sinkende Löhne, befristet Arbeitsverhältnisse und schwankende Einkünfte sind nur einige der Gründe, die für ihren Niedergang sorgen. [7] Zählten 1995 noch 70% der Bevölkerung zur Mittelschicht, [8] waren es im Jahr 2019 nur noch 63 Prozent. [9]


Trotz jahrzehntelangen Wirtschaftswachstums; trotz eines Beschäftigungsrekords von zuletzt 45,6 Millionen Erwerbstätigen; und trotz wachsender Privatvermögen von knapp acht Billionen Euro rutschen immer mehr Menschen ab.


Heute leben in Deutschland 13,8 Millionen Menschen am Existenzminimum. So viele wie nie zuvor. Viele der Betroffenen haben ein Leben lang gearbeitet. [10] Trotzdem können sie sich nicht einmal mehr die billigsten Lebensmittel leisten. Soziale und kulturelle Teilhabe, wie Kino- und Cafébesuche mit Freund:innen, sind erst recht nicht mehr möglich. Stattdessen kämpfen sie mit jeder Menge Scham und einem Gefühl des Versagens. [11] Bei 40 Prozent der Menschen resultiert die Notwendigkeit, ein Auto zu reparieren oder eine Waschmaschine zu ersetzen, sogar in einer Verschuldung, da ihre geringen Löhne kaum Raum für Ersparnisse lassen. [10, 12]


Um zu verstehen, wie derartige desaströse gesellschaftliche Zustände in der größten Volkswirtschaft Europas existieren können, müssen wir einen wichtigen Aspekt des Kapitalismus begreifen: Die Regeln des Marktes.


Kapitalismus: Niedrige Lohnkosten als Wettbewerbsvorteil für Unternehmen

Um im Preiskampf auf dem Markt zu bestehen sind Unternehmen im Kapitalismus dazu gezwungen bei jeder Gelegenheit die Löhne zu drücken. Ohne schützende Gewerkschaft im Hintergrund haben Angestellte meist keine Möglichkeit sich dagegen erfolgreich zu wehren.

Im Kapitalismus werden viele Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens über den Markt geregelt. Das bedeutet, dass sowohl Menschen als auch Unternehmen vom Markt abhängig sind.


Unternehmen verdienen Geld, indem sie ihre Waren und Dienstleistungen auf dem Markt gegen einen Gewinn verkaufen. Dort treffen sie in der Regel auf andere Unternehmen, die ein vergleichbares Produkt anbieten. Im Werben um Kund:innen entbrennt zwischen den Unternehmen ein harter Konkurrenzkampf, der üblicherweise über den Preis ausgetragen wird. Je niedriger der Preis, desto wahrscheinlicher ist es, dass Kund:innen zuschlagen werden. Um im andauernden Kampf um den niedrigsten Preis nicht bankrott zu gehen, müssen Unternehmen stets dafür sorgen die Kosten der Produktion zu senken.


Da Personalkosten häufig einen hohen Anteil an den gesamten Produktionskosten einer Ware haben, ist es im Interesse der Unternehmen, diese Kosten so niedrig und flexibel wie möglich zu halten. Unternehmen zahlen daher keinen Euro mehr Lohn als notwendig. [1]


Gewerkschaften bedeuten Macht für Arbeitnehmer:innen

Arbeiter:innen, die sich um einen Job bemühen, können entweder zu dem Lohn arbeiten, den das Unternehmen ihnen anbietet oder das Angebot ausschlagen. Da Arbeiter:innen in der Regel aber keine größeren Ersparnisse haben, droht ihnen im Fall einer längeren Arbeitslosigkeit der persönliche Ruin. Um das zu verhindern, sind Arbeiter:innen gezwungen auch schlechte Vertragsangebote, niedrige Löhne und miserable Arbeitsbedingungen zu akzeptieren.


Durch den Zusammenschluss in Gewerkschaften, haben die Arbeiter:innen die Möglichkeit zu streiken. Dadurch können sie Unternehmen erfolgreich zu fairen Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen bewegen.

Bereits vor 150 Jahren erkannten die Arbeiter:innen, dass sie gegen die Willkür der Unternehmen nur dann etwas ausrichten können, wenn sie sich in Gewerkschaften zusammenschließen. Diese kollektive Stärke erlaubt es ihnen, bei Bedarf durch Streiks die Produktion zum Stillstand zu bringen und dem Unternehmen hohe Kosten zu verursachen. Derartige Arbeitskampfmaßnahmen sorgen dafür, dass Unternehmen dazu gezwungen sind mit den Arbeiter:innen auf Augenhöhe zu verhandeln, was zu besseren Löhnen und angemessene Arbeitsbedingungen führt. [1]


Schwache Gewerkschaften: Hohe Unternehmensgewinne und niedrige Löhne für Arbeiter:innen

Zwischen 1960 und 1969 bewirkten die hohen Mitgliederzahlen in den Gewerkschaften einen kontinuierlichen Anstieg der Löhne, der mit der Unternehmensproduktivität Schritt hielt, und leisteten einen wesentlichen Beitrag zum Ausbau des Sozialstaats. Diese positive Entwicklung setzte sich bis etwa 1975 fort. [13]

Eine wichtige Voraussetzung für das sogenannte „goldene Zeitalter der Mittelschicht“ waren starke Gewerkschaften. Zwischen 1960 und 1975 waren durchschnittlich 34 Prozent aller Arbeitnehmer:innen Mitglied in einer Gewerkschaft. [14] Damit war es ihnen möglich, sowohl Unternehmen als auch Staat unter Druck zu setzen und ihre Interessen als Arbeitnehmer:innen durchzusetzen.


Das hatte zur Folge, dass die Löhne in etwa so stark anwuchsen wie die Produktivität der Unternehmen. Wenn also eine Firma mehr produzierte und damit mehr Geld verdiente, gab sie dieses Wachstum über die Löhne an ihre Mitarbeiter:innen weiter. Die starke Stellung der Gewerkschaften in der Gesellschaft, sorgte auch für einen gut ausgebauten Sozialstaat. [2, 15]  


Seit den 1970er Jahren: Erfolgreiche Unternehmensangriffe auf Gewerkschaften schwächten die Position der Arbeitnehmer. Dadurch stiegen die Löhne der Arbeiter zwar immernoch, aber nicht mehr in gleichem Umfang wie die Produktivität der Unternehmen. [13]

Da der Markt die Unternehmen zu Einsparungen drängt, sind ihnen starke Gewerkschaften ein Dorn im Auge. Aus diesem Grund sind sie bestrebt, die Macht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schwächen. Um dies zu erreichen, bemühen sie sich intensiv, sowohl die wirtschaftlichen als auch die politischen Gegebenheiten zu ihrem Vorteil zu gestalten.


Ab Mitte der 1970er Jahre war die Macht der Gewerkschaften schließlich so weit gebrochen, dass sie nicht mehr ausreichte, um ihren Mitgliedern einen größeren Anteil der Unternehmensgewinne zu sichern. Die Arbeitsproduktivität zwischen 1975 und 1991 wuchs wie in den Jahren zuvor immer weiter an, doch die Löhne folgten dieser Entwicklung nicht mehr entsprechend.


Seit den 1990er Jahren befinden wir uns sogar in einer Phase, in der die Höhe der Löhne tendenziell stagniert oder sogar teilweise abnimmt. [1, 15]


Die Folge niedriger Mitgliedszahlen in den Gewerkschaften: Obwohl die Arbeiter dafür sorgen, dass die Produktivität in den Unternehmen weiter ansteigt, spiegelt sich das nicht mehr in den Löhnen wider. Im Gegenteil: Seit den 1990er Jahren bleiben die Löhne gleich oder sinken sogar. [13]

Neoliberale Politik und der Niedergang der Gewerkschaften

Um Lohnkosten zu sparen, nutzten Unternehmen ihren Einfluss auf die Politik. Dadurch wurden in Deutschland die Hartz-Gesetze verabschiedet. In der Folge mussten Erwerbslose auch Jobs mit schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen annehmen.

Der Niedergang der Gewerkschaften ist nicht einfach so passiert. Er wurde von Unternehmen bewusst und mit Bedacht vorangetrieben, indem Produktionsprozesse umgestellt und die Politik zum Nachteil der Gewerkschaften beeinflusst wurde. [16]


Unternehmen profitieren zum Beispiel davon, dass immer mehr Teile der Produktion an Subunternehmen ausgelagert wurden. Dadurch sinken die Personalkosten und die Gewinne steigen. Für die Arbeiter:innen bedeuteten diese Maßnahmen dagegen niedrige Löhne, wirtschaftliche Unsicherheit und fehlende Tarifbindung.


Im Kampf gegen eine organisierte Arbeiter:innenschaft sorgte der Einfluss der Unternehmen auf die Politik für diverse Arbeitsmarktreformen, darunter zum Beispiel die Hartz-Reformen. Aufgrund eines unmenschlichen Sanktionssystems ist der Druck auf Erwerbslose so hoch, dass sie auch Jobs mit schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhnen annehmen müssen. Dadurch konnte in Deutschland einer der größten Niedriglohnsektoren Europas aufgebaut werden.


Heute sind nur noch 14 Prozent aller Arbeiter:innen Mitglied in einer Gewerkschaft. Die Kampfkraft der Gewerkschaften ist dementsprechend zu gering, um wie früher große positive Veränderungen in den Leben der Menschen erkämpfen zu können. [17, 2]



 

Das kannst du tun:


  1. Gewerkschaft beitreten

Werde Mitglied in einer Gewerkschaft, um deinen Lohn und deine

Arbeitsbedingungen merklich zu verbessern.  

 

2. Mitmenschen aufklären

Kläre Menschen über die Ursachen niedriger Löhne auf und inwiefern eine

Gewerkschaftsmitgliedschaft diese Situation verbessern kann.

 

3. Spenden und engagieren

Unterstütze Genug ist Genug mit deiner Mitarbeit oder Spende, und helfe uns

dabei, die Arbeiter:innenbewegung zu stärken.



 

Quellenangaben:

Quellen ausklappen

[1] Vivek Chibber, V. (2022). Das ABC des Kapitalismus. Brumaire Verlag. https://brumaireverlag.de/Das-ABC-des-Kapitalismus

[2] Fürniß, A. (2023, March 3). Warum das Leistungsprinzip heute nicht mehr funktioniert. KATAPULT-Magazin. https://katapult-magazin.de/de/artikel/warum-das-leistungsprinzip-heute-nicht-mehr-funktioniert

[3] Heinrich-Böll-Stiftung France. (2021, May 3). Oliver Nachtwey - Die Abstiegsgesellschaft: Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne [Video]. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=HRsL3Lv84Jo

[4] deutschlandfunk.de. (n.d.). “Oben - Mitte - Unten” - Sozialwissenschaftler vermessen die Gesellschaft. Deutschlandfunk. https://www.deutschlandfunk.de/oben-mitte-unten-sozialwissenschaftler-vermessen-die-100.html

[5] Bergmann, C. (2023, June 24). Wer gehört zur Mittelschicht? Das ist nicht so einfach. BR24. https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/mittelschicht-wer-gehoert-dazu-definition-gibt-es-nicht,Thj6Tke

[6] deutschlandfunk.de. (n.d.). Mittelschicht - Wohlstand und Selbstverständnis bewahren. Deutschlandfunk. https://www.deutschlandfunk.de/mittelschicht-wohlstand-und-selbstverstaendnis-bewahren-100.html

[7] Arm trotz Arbeit - Die Krise der Mittelschicht - Die ganze Doku | ARTE. (n.d.). ARTE. https://www.arte.tv/de/videos/110347-000-A/arm-trotz-arbeit-die-krise-der-mittelschicht/

[8] Studie - Die Mittelschicht in Deutschland bröckelt. (2023, November 13). https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2021/dezember/die-mittelschicht-in-deutschland-broeckelt

[9] tagesschau.de. (2023, August 7). ifo-Studie: Die deutsche Mittelschicht schrumpft. tagesschau.de. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/ifo-mittelschicht-100.html

[10] Kiefer, F. (2023, 16. Januar). Die Krise trifft die Mittelschicht: „Immer mehr Menschen rutschen unverschuldet ab“. Tagesspiegel Plus. Abgerufen am 1. Januar 2024, von https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/krise-trifft-mittelschicht-immer-mehr-menschen-rutschen-unverschuldet-ab-9166854.html

[11] DW Deutsch. (2018, July 25). Porträt: Leben am Existenzminimum | DW Deutsch [Video]. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=Yu1ofQ2lraA

[12] Schwerpunkt Geld. (2022, Oktober). OXI - Wirtschaft anders denken.

[13] Bosančić, S. & Nachtwey, O. (2020, season-02). Die Abstiegsgesellschaft [Vorlesungsfolien; Vorlesung]. (Ursprünglich veröffentlicht 2017)

[14] Die deutschen Gewerkschaften. (2020, March 7). Fowid - Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland. https://fowid.de/meldung/deutsche-gewerkschaften

[15] Bosančić, S. (o. D.). Die Abstiegsgesellschaft. Online-Vorlesung: Gegenwartsdiagnosen, Universität Augsburg.

[16] Boltanski, L. & Chiapello, È. (2006). Der neue Geist des Kapitalismus. BoD – Books on Demand.

[17] Wie lässt sich die Tarifbindung stärken? Mit Johanna Wenckebach. (n.d.). Hans-Böckler-Stiftung. https://www.boeckler.de/de/podcasts-22421-Wie-laesst-sich-Tarifbindung-staerken-Johanna-Wenckebach-27983.htm








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